Ernst Fuchs (1859 - 1929)

von Dr. Detlev Fischer

Von 1884 bis zu seinem Tode im Jahre 1929 wirkte Ernst Fuchs als Rechtsanwalt in Karlsruhe. Durch seine schriftstellerische Tätigkeit – insbesondere als sog. Freirechtler – wurde er in ganz Deutschland bekannt. Jedenfalls in seinen letzten Lebensjahren hat der engagierte Jurist allseitige Anerkennung erfahren. Nach der Einschätzung des Freiburger Rechtshistorikers Erik Wolf (1902-1977) kann Ernst Fuchs als stärkste geistige Kraft unter den freirechtlich eingestellten Juristen angesehen werden. Er gehört damit sicherlich zum Kreis der führenden Juristen aus der Vorzeit der heutigen Residenz des Rechts. Das Hausanwesen Moltkestraße 17, auf dem sich eine repräsentative Villa des ehemaligen Hardtwaldstadtviertels befindet, stand im Eigentum von Ernst Fuchs. In diesem Haus, in dem heute eine Außenstelle des Landratsamtes Karlsruhe untergebracht ist, befand sich sowohl die Wohnung als auch die Anwaltskanzlei von Ernst Fuchs.

Ernst Fuchs wurde am 15. Oktober 1859 in Weingarten bei Karlsruhe geboren. Sein Vater betrieb dort einen Viehhandel. Im Kreis der kinderreichen Familie, die streng nach den jüdischen Geboten lebte, wuchs der hochbegabte Sohn auf. 1871 zog die Familie nach Karlsruhe, wo Ernst Fuchs sodann auf das Großherzogliche Gymnasium – dem heutigen Bismarckgymnasium – überwechselte. Dank seiner überdurchschnittlichen Begabung durfte er mit Genehmigung des Schuldirektors Gustav Wendt (1827-1913) eine Klasse überspringen. Sein Wunsch nochmals eine weitere Klasse zu überspringen, wurde ihm allerdings auf dem Karlsruher Gymnasium verwehrt, so dass er nach Heilbronn überwechselte. Von 1876 bis 1880 studierte Ernst Fuchs Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg und Straßburg. Im Anschluss hieran absolvierte er als Rechtspraktikant, was dem heutigen Rechtsreferendar entspricht, den Vorbereitungsdienst bei verschiedenen badischen Gerichts- und Verwaltungseinrichtungen, u. a. auch in Lörrach. 1884 erhielt er die Zulassung als Rechtsanwalt und war zunächst am Landgericht Karlsruhe tätig. In dieser Zeit übernahm er auch mehrfach Verteidigungen von Sozialdemokraten, die nach den Sozialistengesetzen verfolgt wurden. 1894 wurde er als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Karlsruhe zugelassen, an dem er überwiegend in Zivilsachen auftrat. Die Meisterschaft, mit der er den Zivilprozeß führte, wurde vielfach gerühmt. Erstmals Aufsehen soll er Anfang der Neunziger Jahre mit einem in einer juristischen Fachzeitschrift erschienenen Aufsatz erregt haben, in dem er vorschlug, durch Gesetz den jüdischen Sabbat auf den Sonntag zu verlegen. Ausgangspunkt für seine Überlegung war der Umstand, dass bei Zustellungen, Lieferungen, Fristabläufen und Wechselprotestationen durch die damals praktizierte strenge Sabbatsruhe nicht unerhebliche Schwierigkeiten für den Rechtsverkehr bestanden. In erster Linie wollte Fuchs durch seinen ungewöhnlichen Vorschlag die Assimilation beschleunigen, die damals von vielen deutschen Juden angestrebt wurde. Die gleiche Grundhaltung führte ihn 1899 dazu seinen bisherigen Vornamen Samuel in Ernst abzuändern.

Ernst Fuchs gehörte zu einer Juristengeneration, die mitten in ihrem Berufsleben den grundlegenden Wechsel von einer zur anderen (Zivil-)Rechtsordnung miterleben musste. Den zur Jahrhundertwende sich vollziehenden Übergang vom französischrechtlichen Badischen Landrecht zum streng pandektistisch ausgerichteten Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), mit dem die reichsweite Rechtseinheit auch im materiellen Zivilrecht verwirklicht wurde, stand Fuchs als glühender Anhänger des Badischen Landrechts von Anfang an reserviert gegenüber. In erster Linie lehnte er die damit verbundene Tendenz zu mehr formalbegrifflichem Denken ab. Hinzu kam, dass mit der Einführung eines neuen Gesetzeswerkes (Kodifikation) regelmäßig die Gebundenheit der Rechtsprechung zunimmt, was sich insbesondere in den Anfangsjahren der reichsgerichtlichen Judikatur zum BGB bestätigt hat. Hierin liegen die Wurzeln des sich alsbald einsetzenden Engagements Fuchs für die nicht nur in Deutschland in Entstehung begriffene Freirechtsbewegung.

Fuchs Grundpositionen, erstmals in „Schreibjustiz und Richterkönigtum” (1907) niedergelegt, beruhen, wie auch für andere Freirechtler – so Eugen Ehrlich (1862-1922) und Hermann Kantorowicz (1877-1940) – kennzeichnend, auf der Erkenntnis der Lückenhaftigkeit der staatlichen Rechtsordnung. Die notwendige Lückenausfüllung könne weder durch Analogie oder Umkehrschluss, sondern nur im Rahmen einer „soziologischen Methode” erzielt werden, wobei der Richter auch die jeweilige Verkehrssitte seiner Entscheidung zugrunde zulegen habe. Gebe es keine, so solle er entscheiden, wie ein mit den jeweiligen Verhältnissen vertrauter „gerechter und gescheiter Mann” urteilen würde. Der Richter müsse demnach eingehende Kenntnis der Lebensbereiche besitzen, denen die zu entscheidenden Fälle entstammten. Nach Fuchs hat sich die neue „Gerechtigkeitswissenschaft” als eine empirisch – durch Soziologie und Psychologie – fundierte theoretisch-praktische Einheit darzustellen, die insbesondere eine grundlegende Änderung der Juristenausbildung erfordere. Eine prägnante, teilweise moderate Zusammenfassung seiner Thesen hat Fuchs in seiner letzten Schrift „Was will die Freirechtsschule?” (1929) vorgelegt. Hierin konnte er feststellen, dass sich das Reichsgericht – insbesondere im Rahmen seiner Aufwertungsrechtsprechung Anfang der Zwanziger Jahre – dem freirechtlichen Standpunkt angenähert und dem „königlichen Paragraphen” § 242 BGB – im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung – zunehmende Bedeutung eingeräumt hat. Mit den 1920 an Ernst Fuchs gerichteten Worten des späteren Senatspräsidenten am Reichsgericht und langjährigen Mitglied des II. Zivilsenats, Richard Mansfeld [1865-1943], es gebe keine Urteilsberatung seines Senates, bei der nicht er – Ernst Fuchs – mit am Leipziger Beratungstisch sitze, wurde treffend die überragende Bedeutung des Freirechtlers gewürdigt. Ernst Fuchs jahrzehntelanges Eintreten für die Notwendigkeit richterlicher Rechtsfortbildung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber in Artikel 20 Abs. 3 GG – Gesetz und Recht – sowie in § 132 Absatz 4 GVG – Fortbildung des Rechts – normativ anerkannt.

Ab 1925 war Fuchs auch Hauptmitarbeiter der republikanischen Zeitschrift „Die Justiz”, die als Monatsschrift für die Erneuerung des deutschen Rechtslebens u. a. von Gustav Radbruch (1878-1949) und Hugo Sinzheimer (1875-1945) herausgegeben wurde. Kurz vor seinem Tode erhielt Ernst Fuchs am 4. Februar 1929 von der Heidelberger Juristischen Fakultät die Ehrendoktorwürde verliehen. In der Ehrenurkunde wurde ausgeführt, Fuchs habe die von ihm sogenannte Pandektologie der Rechtsgelehrten bekämpft, sei dabei aber selbst – nach dem Vorbild der römischen Juristen – als Rechtsschöpfer aufgetreten, nicht aus dem Buchstaben der Gesetze, sondern aus ihrem Sinn und Zweck. Am 10. April 1929 verstarb Ernst Fuchs in Karlsruhe.

In den letzten Lebensjahren führte Ernst Fuchs seine OLG-Kanzlei zusammen mit seinem Sohn Dr. Albrecht Fuchs (1893-1972). Albrecht Fuchs, der nach dem Tode seines Vaters die Kanzlei in die Bachstraße verlegte, konnte noch bis 1938 am Oberlandesgericht praktizieren, dann wurde auch ihm – als Weltkriegsteilnehmer zunächst noch begünstigt – die Zulassung endgültig entzogen. 1939 verließ A. Fuchs mit seiner Familie noch rechtzeitig seine Heimatstadt und konnte sich der tödlichen NS-Verfolgung entziehen. Im fernen Australien baute er sich unter dem Namen Albert S. Foulkes eine neue Lebensbasis auf. Ihm ist es zu verdanken, dass das umfangreiche schriftstellerische Lebenswerk Ernst Fuchs in der dreibändigen Ausgabe der „Gesammelte Schriften zur Freirechtslehre und Rechtsreform“, in den Jahren 1970 bis 1975 erschienen, auch dem heutigen Leser zur Verfügung steht. Ernst Fuchs Tochter Edith Fuchs (1897-1942) konnte nicht mehr fliehen; sie wurde in Auschwitz ermordet.